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Kindergeld bei Behinderung – Anspruch für behinderte Kinder

Im Normalfall endet der Anspruch auf Kindergeld, sobald das Kind seinen 18. Geburtstag erreicht. Macht das Kind seine erste Berufsausbildung oder geht einem Erststudium nach, erhalten die Eltern auch während dieser Zeit Kindergeldzahlungen bis spätestens zum vollendeten 25. Lebensjahr, siehe Kindergeld in der Ausbildung.

Ist das Kind aber aufgrund einer Behinderung nicht dazu fähig, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kann das Kindergeld auch über das 25. Lebensjahr hinaus bezogen werden.

Wann liegt eine Behinderung vor?

Im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG werden Behinderungen dann berücksichtigt, wenn die körperlichen Funktionen, die geistigen Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen, wodurch die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Nach dem BFH-Urteil vom 16.04.2002 (VIII R 62/99) können auch Suchtkrankheiten, wie Drogenabhängigkeit oder Alkoholismus, zu einer Behinderung führen. Akute Krankheiten, deren Verlauf sich auf eine im Voraus abschätzbare Dauer beschränkt, gelten hingegen nicht als Behinderung.

Langfristiger Kindergeldanspruch

Um einen langfristigen, sich über das 25. Lebensjahr erstreckenden Kindergeldanspruch zu haben, genügt es jedoch nicht, dass das Kind als behindert eingestuft wurde: Das Kind muss nach den Gesamtumständen des Einzelfalls aufgrund der Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. Objektiv muss es dem Kind also unmöglich sein, seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf durch eigene Mittel zu decken.

Die Behinderung des Kindes muss zwar vor der Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sein, die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten, hingegen nicht – eine Spitzfindigkeit, die sich zu beachten lohnt.

Achtung: Wenn das Kind jedoch – trotz seiner bestehenden Behinderung – selbst dazu in der Lage ist, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, besteht kein Anspruch auf Kindergeld.

Ursächlichkeit-Überprüfung durch die Familienkasse

Allein die Feststellung eines sehr hohen Grades der Behinderung rechtfertigt die Annahme der Ursächlichkeit nicht – die Behinderung muss ausschlaggebend dafür sein, dass das Kind nicht dazu fähig ist, sich selbst zu versorgen.

Zweifelt die Familienkasse die Ursächlichkeit der Behinderung an, kann sie eine Stellungnahme dazu von der Reha/SB-Stelle der Agentur für Arbeit einholen. Ist es der Reha/SB-Stelle mangels Unterlagen nicht möglich, dies zu beurteilen, wird dem Antragsteller vorgeschlagen, das Kind durch den Ärztlichen Dienst bzw. den Berufspsychologischen Service der Bundesagentur für Arbeit begutachten zu lassen.

Wann die Ursächlichkeit anzunehmen ist

Die Ursächlichkeit ist anzunehmen, wenn der Grad der Behinderung 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzukommen, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheinen. Besondere Umstände sind:

  • die Kindesunterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen
  • der Bezug von Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII
  • die Fortdauer einer Schul- oder Berufsausbildung eines Kindes aufgrund seiner Behinderung über das 25. Lebensjahr hinaus
  • das im Ausweis schwerbehinderter Menschen eingetragene Merkmal „H“ (hilflos)
  • wenn im Feststellungsbescheid anerkannt wurde, dass die Voraussetzungen für das Merkmal „H“ vorliegen
  • wenn gegenüber dem Kind eine volle Erwerbsminderungsrente bewilligt oder eine dauerhafte, volle Erwerbsminderung nach § 45 SGB XII festgestellt wurde

Mitursächlichkeit

Die Behinderung muss nicht die einzige Ursache dafür sein, dass das Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; auch eine Mitursächlichkeit ist ausreichend, wenn dieser nach den Gesamtumständen des Einzelfalls eine erhebliche Bedeutung zukommt (BFH vom 19.11.2008 – III R 105/07). Beispiel: Leistungseinschränkungen aufgrund einer Lernbehinderung, die zu einer erheblichen Einschränkung der Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt führen.

Nachweis über die Behinderung

Um Anspruch auf Kindergeld für ein behindertes Kind zu haben, muss die vorhandene Behinderung des Kindes belegt werden. Dazu ist es auch möglich, eine Bescheinigung oder ein Gutachten vom behandelnden Arzt ausstellen zu lassen. Daraus müssen folgende Informationen entnehmbar sein:

  • Vorliegen der Behinderung
  • Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit
  • Beginn der Behinderung (wenn das Kind das 25. Lebensjahr bereits vollendet hat)

Regelmäßige Überprüfung

Grundsätzlich wird das Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen jährlich geprüft, da Behinderungen jedoch nicht pauschal gehandhabt werden können, kommt es stets auf den Einzelfall an, wie oft eine Prüfung stattfindet. Wichtig ist hier vor allem, dass sich drei bis sechs Wochen vor Ablauf der Kindergeldzahlung um Folgeantrag bemüht wird, sodass eine lückenlose Zahlung gewährleistet werden kann. Unter bestimmten Voraussetzungen wird jedoch auch nur alle fünf Jahre geprüft. Dafür muss

  • ein Grad der Behinderung von 50 oder mehr vorliegen
  • das Kind in einer auf Dauer angelegten voll- oder teilstationären Unterbringung in einer Behinderteneinrichtung leben
  • oder das Kind als schwerstpflegebedürftige Person die Pflegestufe III (gleichbedeutend mit Merkzeichen „H“) erhalten haben

Behinderung nach Vollendung des 25. Lebensjahres

Kindergeld für behinderte Kinder gibt es nicht, wenn die Behinderung erst nach ihrem 25. Geburtstag einritt. Trat die Behinderung des volljährigen Kindes aber (vor dem 01.01.2007) in den Altersphasen zwischen der Vollendung des 25. und des 27. Lebensjahres ein, ist die Altersgrenze aufgrund einer Übergangsregelung auf 27 angehoben.

Wer muss den Kindergeldantrag stellen?

Den Antrag auf Kindergeld für ein behindertes Kind müssen immer die Eltern stellen: Das ändert sich auch nicht, wenn es sich um ein volljähriges Kind handelt, das eine Behinderung hat. Ist das Kind jedoch Vollwaise, so ist es Sache der betreuenden Personen – Geschwister oder auch Pflegeeltern – den Antrag auf Kindergeld zu stellen.

Weiterführende Informationen zur Beantragung des Kindergeldes und Formularvorlagen finden Sie unter Kindergeldantrag.

Auszahlung des Kindergeldes an das behinderte Kind

Sofern die Eltern noch am Leben und in der Lage sind, sich um das Kind zu kümmern, wird das Kindergeld auf ihr Konto überwiesen.

Anrechnung des Kindergeldes auf Grundsicherungsleistungen

Oft leiten Eltern die eingehenden Kindergeldzahlungen an ihre volljährigen Kinder direkt weiter – hier ist unter bestimmten Voraussetzungen jedoch Vorsicht geboten. Bezieht das Kind nämlich Grundsicherungsleistungen, wird das Kindergeld darauf angerechnet, was zu einer Kürzung der Sozialleistungen führt.

Tipp: Es empfiehlt sich daher, dass die Eltern das Kindergeld auf ihrem Konto belassen, selbst wenn das Sozialamt von den Eltern verlangen sollte, das Kindergeld an das behinderte Kind weiterzuleiten – dazu sind sie nicht verpflichtet.

Wann das Sozialamt das Kindergeld abzweigt

Besteht für das Kind Anspruch auf Kindergeld, die Eltern sind aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage aber nicht imstande, ihrem Kind Unterhalt zu gewähren, bekommt das Kind vom Sozialamt eine Grundsicherung. Das Sozialamt ist dann berechtigt, einen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes zu stellen. Das bedeutet: Nicht die Eltern erhalten das Kindergeld, sondern das Sozialamt.

Entscheidung der Familienkasse

Über den Antrag entscheidet die Familienkasse. Haben die Eltern beispielsweise Ausgaben in Höhe des Kindergeldes für das Kind zu leisten, wird ein Abzweigungsantrag seitens des Sozialamtes wenig Erfolg haben.

Wichtig: Ursächlich für diese Ausgaben muss die Behinderung des Kindes sein (Pflege- oder Betreuungskosten). Außerdem ist es Sache der Eltern, diese Ausgaben der Familienkasse zu belegen.

Alle wichtigen Informationen zur Abzweigung des Kindergeldes finden Sie unter Abzweigungsantrag Kindergeld.

Warum es sich lohnt Kindergeld für ein volljähriges, behindertes Kind zu beantragen

Durch die Behinderung eines Kindes entstehen in der Regel Pflegekosten oder Kosten für die Einrichtung und Erhaltung eines behindertengerechten Zuhauses. Jene Kosten können die Haushaltskasse sehr belasten. In Anbetracht dessen kann der regelmäßige Erhalt von Kindergeld eine große Entlastung für die Eltern darstellen.

Höhe des Kindergeldes 2024

Die Höhe des Kindergeldes beträgt seit 2023 für jedes Kind 250 Euro monatlich. Für 2024 sind keine Änderungen vorgesehen, da ab 2025 die Kindergrundsicherung eingeführt werden soll.

seit 01.01.2023ab 01.01.2021ab 01.01.2020
1. und 2. Kind250 Euro219 Euro204 Euro
3. Kind250 Euro225 Euro210 Euro
ab 4. Kind250 Euro250 Euro235 Euro

An welchem Tag des Monats das Kindergeld ausgezahlt wird, finden Sie in unserem Auszahlungskalender.

Folgeansprüche durch den Kindergeldbezug

Für Eltern eines behinderten Kindes, für welches ein Kindergeldanspruch besteht, gibt es die Option, den Behinderten-Pauschbetrag des Kindes auf sich übertragen zu lassen – so können sie von Steuervorteilen profitieren. 

Weitere finanzielle Vorteile bestehen für Eltern durch den Kinderfreibetrag oder auch, wenn sie z.B. eine Wohnraumförderung / eine Finanzierung beantragen. Beamte haben darüber hinaus die Möglichkeit, eine Beihilfeberechtigung zu bekommen.

Grundfreibetrag

Wichtig zu berücksichtigen ist der Grundfreibetrag nach § 32a EStG. Dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zufolge ist ein behindertes Kind über 18 Jahren nicht fähig, sich selbst zu unterhalten, wenn sein jährliches Einkommen diesen Grundfreibetrag nicht überschreitet. Dieser beträgt:

  • ab 01.01.2024: 11.604 Euro
  • 01.01.2023: 10.908 Euro
  • 01.01.2022: 10.347 Euro
  • 01.01.2021: 9.744 Euro
  • 01.01.2020: 9.408 Euro

Der Grundfreibetrag berücksichtigt lediglich lebensnotwendige Kosten – z. B. für Essen und Kleidung. Behinderungsbedingte Mehrkosten finden hier keine Beachtung. Da diese bei Personen mit Behinderung jedoch anfallen, sind sie dem Grundfreibetrag hinzuzurechnen.

Mehrbedarf

Der erforderliche Lebensunterhalt des Kindes ist um einen vom Einzelfall abhängigen Mehrbedarf zu erweitern – dadurch ist die Einkommensgrenze nach oben zu verschieben. Dies muss die Familienkasse berücksichtigen.

Gewährt wird der Mehrbedarf, sofern die entstehenden Kosten für die vorhandene Erkrankung gewöhnlich sind. Zudem ist der für die Unterbringung des Kindes behinderungsbedingte Mehrbedarf zu berücksichtigen.

Individueller behinderungsbedingter Mehrbedarf

Je nach Wohn-/Lebenssituation des behinderten Kindes können unterschiedliche Kosten als behinderungsbedingter Mehrbedarf geltend gemacht werden.

Kosten für die Unterbringung in vollstationärer Einrichtung 

  • z.B. Heim für behinderte Menschen
  • diese Kosten lassen sich anhand des Tagespflegesatzes bestimmen
  • der aktuelle Tagespflegesatz wird einmal pro Jahr zwischen den Krankenkassen und den Trägern der Pflegeeinrichtungen nach bestimmten gesetzlichen Vorgaben vereinbart
  • 365 Tage x Tagespflegesatz (abzügl.Verpflegungskosten)

Kosten für die Unterbringung in teilstationärer Einrichtung

  • z.B. Werkstatt für behinderte Menschen

Pflege- und Betreuungskosten

  • Pflegegeld anhand der Pflegestufe

Pauschbetrag oder Einzelnachweis?

Der individuelle Mehrbedarf des volljährigen, behinderten Kindes kann auf zwei verschiedene Weisen steuerlich geltend gemacht werden. Entweder anhand von Einzelnachweisen oder durch den Behinderten-Pauschbetrag.

Behinderten-Pauschbetrag

§ 33b EStG gestattet behinderten Menschen einen als Behinderten-Pauschbetrag bezeichneten Mehrbedarf. In der Höhe richtet sich dieser nach dem GdB – dem dauernden Grad der Behinderung:

Grad der Behinderung (GdB)Behinderten-Pauschbetrag (p.a.)
ab 20384 Euro
ab 30620 Euro
ab 40860 Euro
ab 501.140 Euro
ab 601.440 Euro
ab 701.780 Euro
ab 802.120 Euro
ab 902.460 Euro
1002.840 Euro
Blinde (Merkzeichen „Bl“)7.400 Euro
Hilflose (Merkzeichen „H“)7.400 Euro

Für 2024 wurden beim Behinderten-Pauschbetrag seitens des Gesetzgebers keine Änderungen vorgenommen.

Weiterer behinderungsbedingter Mehrbedarf

Ein weiterer behinderungsbedingter Mehrbedarf wird sowohl beim Einzelnachweis-Verfahren als auch beim Behinderten-Pauschbetrag gewährt. Dazu zählen:

Pauschbetrag für notwendige Fahrtkosten

  • z.B. zur teilstationären Einrichtung
  • Pauschbetrag für Menschen mit GdB von min. 80 oder min. 70 bei Merkzeichen „G“: 900 Euro
  • Pauschbetrag für Menschen bei Merkzeichen „aG“, „Bl“ oder „H“: 4.500 Euro
  • Vor 2021: 30 Cent pro Kilometer ab GdB von 80 mit Merkzeichen „G“

Nachgewiesene Kosten für Begleitperson

  • falls das volljährige, behinderte Kind nicht alleine reisen kann (Notwendigkeit einer permanenten Begleitperson muss belegt sein)

Durch Behinderung bedingte Aufwendungen

  • z.B. Kosten für Kuren oder Heilbehandlungen

Zusätzliche persönliche Betreuungsleistung durch die Eltern

  • Notwendigkeit muss durch Amtsarzt bescheinigt sein

Ermittlung der Kindes-Einkünfte

Um die Einkünfte des volljährigen, behinderten Kindes zu berechnen, müssen die Einnahmen und Ausgaben des Kindes nach dem Zufluss-/Abflussprinzip ermittelt werden.

Bezüge sowie Einkommen

  • steuerpflichtige Einkünfte (z.B. Einnahmen aus nicht selbstständiger Arbeit)
  • Sachbezüge
  • steuerfreie Einnahmen (z.B. Grundsicherungsleistung)
  • Pflegegeld
  • Versorgungsleistungen anderer Versorgungsträger
  • Unterhaltsleistungen
  • Steuererstattungen, die im betreffenden Jahr zurückgezahlt werden

Was davon abzuziehen ist

  • beglichene Steuerbeträge (Vorauszahlungen, Steuerabzugsbeträge)
  • Vorsorgeaufwendungen (Sozial-, Kranken- und Pflegeversicherung)

Vermögen

Das Vermögen des betreffenden Kindes fällt beim Kindergeldanspruch nicht ins Gewicht. Achtung: Vermögenseinnahmen – Zinsen, Miete, Pacht etc. – zählen hingegen schon als Einkommen!

Rechenbeispiel Bedarfsermittlung

Zuerst gilt es, den Lebensbedarf des Kindes zu ermitteln:

11.604 €Grundbedarf (seit 2023)
2.120 €Behinderten-Pauschbetrag (GdB 85%)
900 €Fahrtkosten (Pauschbetrag)
= 14.624 €notwendiger Lebensbedarf + individueller behinderungsbedingter Mehrbedarf + weiterer behinderungsbedingter Mehrbedarf

Sofern der Gesamtbetrag der Kindeseinkünfte im Jahr 2024 14.624 Euro (2023: 13.928 Euro) nicht überschreitet, haben die Eltern Anspruch auf Kindergeld, weil das Kind unter diesen Umständen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.